Das späte Gnadenbild von Gräfinthal

Es befindet sich seit 1809 am jetzigen Ort. Nach der Zerstörung der Klosterkirche in der Revolution und dem Neubau der Kapelle durch J.B. Matthieu kamen Altar und Marienstatue neu in die Wallfahrtskapelle. Der Altar, letzte Reife eines vollendeten Rokkoko, stammt mit Sicherheit aus einem aufgelösten Kloster, ebenso die zwei Meter hohe Madonna aus dem niederrheinisch-holländischen Grenzgebiet, ein spätgotisches Werk des 15. Jhds.

Gesicht und Kleidung der fürstlichen Frau entsprechen dem flämischen Schönheitsideal, wie wir es in jener Zeit von der Nordsee über das Rheinland bis nach Burgund antreffen. Maria steht auf der Mondsichel, die an der Innenseite die Gesichtszüge eines Asiaten trägt. Sie ist bekleidet mit einem reich drapierten Mantel, auf dem Arm sitzt das Jesuskind (18. Jhd.). Die neue Mode an den Fürstenhöfen, die junge Frauen unverschleiert zeigt, macht sich deutlich bemerkbar: Der weiße Schleier ist vorhanden, jedoch zusammengerafft unter der offenen Haarfülle und wie ein breiter Kragen über dem Kleid angeordnet.

Das Gesicht der Dargestellten entspricht den Idealvorstellungen der Zeit: Die Stirnpartie macht die obere Hälfte des vorderen Hauptes aus, darunter zeigt sich ein Kindergesicht, die Züge einer sehr jungen Frau. Entsprechend traditionellem Kanon, ist aber auch der Ansatz eines Doppelkinns sichtbar, der auf die Mutterschaft der hl. Jungfrau hinweisen soll. Die Farbgebung der Statue, blauer Mantel auf rotem Leibrock, entspricht den traditionellen Festlegungen, wie wir sie von Alters her aus der Ostkirche kennen.

Das frühe Gnadenbild von Gräfinthal

Seit dem 13. Jhd. wurde in Gräfinthal eine Marienstatue des Typs „Pietà“ verehrt, die sich seit der Französischen Revolution im benachbarten Blieskastel befindet, und dort zu Beginn des 20. Jhds. Ziel einer Großwallfahrt geworden ist. Spirituell gehört die Pietà als Andachtsbild in die Frömmigkeitsmentalität des 13./14. Jhds.

Die Blieskasteler Madonna zeigt starke Formelemente der ausgehenden Romanik und der beginnenden Gotik. „Romanisch“ erscheint die ganze obere Körperhälfte Marias, ihr Ikonengesicht, die simple, hieratische Linienfügung von Thorax und Gliedmaßen und die typische Wellung des gesichtsnahen Haupthaares.
„Gotisch“ dagegen mutet der Faltenreichtum des Gewandes der Gottesmutter im Knie- und Beinbereich an. Allerdings fällt auf, dass die dortigen Röhrenfalten einer unterschwelligen Parallelität verpflichtet sind, die auch wiederum typisch für die Romanik war. Es ist nicht auszuschließen, dass die untere Hälfte der Madonnenstatue in der Gotik „modernisiert“, eben gotisch nachgearbeitet worden ist, wobei man sich an den Grundplan der vorhandenen romanischen Faltenkompositionen gehalten hat. Solche „Verbesserungen“ kamen im Verlauf der Kunsthistorie öfters vor.
Die jahrelangen Diskussionen um das Alter der Blieskasteler Pietà haben bisher bei vielen Interessierten einen faden Nachgeschmack zurück gelassen, da man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, dass Kultur- und Kunsthistoriker unter dem Zwang einer Zeitverschiebung hinsichtlich des Ursprungs der Figur stehen. Die Mitte des 13. Jhds. galt traditionell als Entstehungszeitraum der Pietà, kontextuell gesehen mit der Gründung des Klosters und dem Blutwunder auf dem Brudermannsfeld. Die historisch-kritische Forschung hat aufgrund der oben erfolgten Überlegungen keinerlei Grund den traditionellen Entstehungszeitpunkt in Frage zu stellen. Alle Vergleichsmodelle von Pietà-Darstellungen gehören einer späteren Epoche an und sind rein-gotisch. Das alte Gräfinthaler Gnadenbild dürfte demnach die älteste Pietà überhaupt sein, die bis heute existiert.

Der lebensgroße Kruzifix

Er ist schwer zu datieren, sein Alter ist bei Fachleuten umstritten. Die Formensprache an Kopf und Lendenschurz lässt an späte Gotik denken, 14./15. Jhd. Der wenig entwickelte und nur schematisch angedeutete Thorax verweist ebenfalls in die Zeit des Vorbarocks. Wahrscheinlich haben wir es mit dem Triumphkreuz einer ehemaligen Klosterkirche zu tun, das J. B. Mathieu zusammen mit den anderen Ausstattungsstücken 1809 nach Gräfinthal brachte. Oft wanderten solche klösterlichen Devotionsgegenstände wie Kreuze und Figuren von Kloster zu Kloster, so bei Auflösung der Abteien und Priorate in der Reformationszeit, oder sie endeten in viel zu kleinen Dorfkirchen, wie häufig nach der Säkularisation zu Beginn des 19. Jhds.
Der Gräfinthaler Kruzifix ist in seiner Leidensinnigkeit einer Epoche zuzuordnen, die spirituell und konkret mit dem Leiden vertraut war; gedacht werden kann an das ausgehende Mittelalter, vielleicht die Devotio moderna (15. Jahrhundert).